Was Urteilsunfähigkeit bedeutet

Wird jemand als urteilsunfähig eingestuft, hat dies weitreichende Folgen. Seit der Einführung des überarbeiteten Erwachsenenschutzrechts im Jahr 2013 sind damit regelmässig verschieden starke Eingriffe in die Selbstbestimmung einer Person durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) möglich. In diesem Artikel soll daher genauer erläutert werden, ab wann jemand überhaupt als urteilsunfähig gilt.

Basis für die Einschätzung, ob jemand urteilsunfähig ist, bildet das Schweizer Gesetz. Dort heisst es:

Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.

Da diese Definition sehr abstrakt ist, ist es verständlicherweise schwierig, sich konkrete Fälle vorstellen zu können, in denen eine Urteilunfähigkeit besteht.

Auch Ärzte, welche die Einschätzung bezüglich Urteilsunfähigkeit abgeben müssen, beurkunden oft Mühe das juristische Deutsch in konkrete medizinische Beschwerdebilder zu übertragen. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat daher medizinisch-ethische Richtlinien definiert, um insbesondere den Ärzten einen besseren Leitfaden zur Verfügung zu stellen, um Fälle einer möglichen Urteilsunfähigkeit besser und einheitlicher festzustellen.

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Wer seine Selbstbestimmung wahren möchte, sollte unbedingt einen Vorsorgeauftrag verfassen.

Gemäss dem Leitfaden der SAMW soll eine mögliche Urteilsunfähigkeit vordergründig auf Basis der folgenden drei Fähigkeiten eingeschätzt werden:

-Erkenntnisfähigkeit
-Wertungsfähigkeit
-Fähigkeit zur Willensbildung und Willenskraft

Erkenntnisfähigkeit
Bei diesem Kriterium geht es darum, ob eine Person fähig ist, Informationen korrekt und umfassend aufzunehmen und logische Konsequenzen daraus ziehen zu können. Ein in den Richtlinien beschriebener Fall wäre z.B., dass eine Person trotz ärztlicher Aufklärung ihrer Diabeteserkrankung, dies nicht wahrhaben möchte und auch keine Konsequenzen bezüglich des eigenen Verhaltens daraus ableiten kann. So würde eine Person z.B. felsenfest behaupten, dass die Diagnose Diabetes nicht stimme und ihre schwarze Zehe nicht von einer Diabeteserkrankung stamme, sondern bloss wieder einmal sauber gewaschen werden müsse.

Wertungsfähigkeit
Bei der Wertungsfähigkeit wird mit Fragen überprüft, ob die Person über ein Mindestmass eines vernünftigen Wertesystems verfügt. Ein konkretes Beispiel gemäss Leitfaden, bei dem die Wertungsfähigkeit als nicht oder zu gering eingeschätzt wird ist, wenn eine Person z.B. eine Behandlung mit der Begründung ablehnt, dass sie dadurch ihre Verbindung zu spirituellen Kräften verliere.

Fähigkeit zur Willensbildung bzw. Willenskraft
Dem Leitfaden nach wäre z.B von einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Willensbildung auszugehen, wenn eine Person sich gegenüber dem Arzt mit einem Behandlungsplan einverstanden zeigt und kurz danach in Anwesenheit des Ehepartners diese Einwilligung wieder verwirft, weil der Ehepartner seine ablehnende Haltung zur vorgeschlagenen Behandlung dem Arzt mitteilt.

Die SAMW stellt auf ihrer Website den Ärzten einen Evaluationsbogen zur Verfügung, mit Hilfe dessen die zuvor exemplarisch beschriebenen Fähigkeiten festgehalten werden können.

Da durch verschieden umfangreiche Beistandschaften die KESB auch nur teilweise in die Selbstbestimmung einer Person eingreifen kann, geht es schliesslich darum, durch eine Gesamtwürdigung verschiedener Eindrücke des Arztes, beim Gespräch mit der zu beurteilenden Person, festzustellen, für welche Lebensbereiche eine mögliche Einschränkung der Urteilsfähigkeit signifikant und relevant ist und ob wirklich bereits eine umfassende Beistandschaft angeordnet werden muss. 

Klar ist, dem Arzt kommt auch auf Basis der nun zur Verfügung gestellten Richtlinien weiterhin ein nicht zu unterschätzender Ermessensspielraum zu.

Es gilt daher weiterhin der Grundsatz, dass jede erwachsene Person in der Schweiz sinnvollerweise wenigstens einen Vorsorgeauftrag schreiben sollte, so dass im Falle einer Bejahung der Urteilsunfähigkeit immerhin durch den Vorsorgeauftrag eine Person bestimmt werden konnte, die anstelle der KESB die Vetretung wahrnehmen soll.

Sie haben noch keinen Vorsorgeauftrag? Gerne beraten wir Sie dazu. Nähere Infos zur Beratung für eine rechtzeitige Selbstbestimmung finden Sie hier.